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Die Christliche Beistandspflicht – Ein Übungsfall

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Innerhalb der verfassungsrechtlichen Klausuren ist die Religionsfreiheit aus Art. 4 GG immer wieder ein beliebtes Thema. Hier eine Konstellation die an Aktualität und Brisanz im Laufe der Jahre nicht verloren hat und hin und wieder gerne abgefragt wird.

Sachverhalt: 

Der Ausländer Z begehrt in Deutschland Asyl. Er begründet sein Ansinnen mit der Verfolgung in seinem Heimatland aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einer christlichen Minderheit. Der Z kann seinen Asylantrag nicht näher begründen, daher wird dieser vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge als unbegründet abgelehnt. Der Z versucht sich gegen die Ablehnung mittels einer verwaltungsgerichtlichen Klage zu wehren, doch auch diese wird abgelehnt. 

Aus Angst vor der nun drohenden Abschiebung wendet sich der Z an die evangelische Kirchengemeinde G. Deren Pfarrer H beschliesst um der christlichen Beistandspflicht willen, dem Z zu helfen. H quartiert den Z in der Kirche ein. Weiter kontaktiert der H verschiedene Flüchtlingsorganisationen und Netzwerke um dem Z so helfen zu können. Tatsächlich gelingt es ihm Dokumente zu erhalten, die belegen dass der Z bei Rückkehr in sein Heimatland nicht nur eine Inhaftierung, sondern auch Folter und ähnliches befürchten muss. Der H wendet sich an die zuständige Ausländerbehörde und trägt den Sachverhalt nunmehr mit Dokumenten erneut vor um die Abschiebung des Z zu verhindern und eine Neuentscheidung der Behörde zu ermöglichen. Die Behörde allerdings beruft sich auf die rechtskräftige Ablehnung des Asyls des Z und weist – ohne die vorgelegten Dokumente zu sichten – das Ansinnen des H ab. Weiterhin gibt sie auch keinen Aufschub der Abschiebung. 

Kurze Zeit später betreten Polizeibeamte die Kirche, ohne einen Durchsuchungsbeschluss suchen sie in der dem Publikum offen stehenden Kirche den Z. Als sie ihn finden, nehmen sie ihn fest. Er wird umgehend in sein Heimatland abgeschoben. 

Die als Körperschaft des öffentlichen Rechts organisierte Kirchengemeinde G geht gegen die polizeilichen Maßnahmen die zur Festnahme und Abschiebung des Z führten gerichtlich vor. Nach Ausschöpfung des Rechtsweges legt die G Verfassungsbeschwerde beim BVerfG ein. Sie trägt vor, durch das Suchen und Festnehmen des Z sei das Kirchenasyl gebrochen worden und sie selbst dadurch in der Ausübung ihrer christlichen Beistandspflicht gehindert worden. Außerdem hätten die Polizeibeamten bei der Festnahme die Kirche als Haus Gottes nicht hinreichend respektiert. 

Fallfrage:

  • Hat die Verfassungsbeschwerde Aussicht auf Erfolg?

Lösungsskizze: 

A. Zulässigkeit 

I. Zuständigkeit des BVerfG ( + ) Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG i.V.m. §§ 13 Nr. 8a, 90, 92 ff. BVerfGG ( siehe auch Schema Verfassungsbeschwerde)

II. Beschwerdegegenstand: Hier Akt der Exekutive (Eindringen in die Kirchenräume und Festnahme des Z), sowie der Judikative (die das polizeiliche Handeln bestätigenden Gerichtsentscheidungen).

III. Beteiligten- und Prozessfähigkeit: G ist eine juristische Person des Öffentlichen Rechts und zunächst als solche nicht Beteiligtenfähig. Aber: Art. 19 Abs. 3 GG ist zu beachten. Die G ist demnach dann als Grundrechtsträger anzusehen, wenn eine grundrechtstypische Gefährdungslage vorliegt. Hier: ( + ) da die G gerade keine staatliche übertragene Hoheitsgewalt ausübt.

IV. Beschwerdebefugnis:

a) Möglichkeit der Grundrechtsverletzung ( + ) In Betracht kommen Art. 4 Abs. 1 und 2 GG und Art. 13 Abs. 1 GG

b) Grundrechtsbetroffenheit selbst ( + ), gegenwärtig ( + ) und unmittelbar ( + )

V. Rechtsschutzbedürfnis ( + ) da Rechtswegeerschöpfung und Grundsatz der Subsidarität der Verfassungsbeschwerde hier zutreffen.

VI. Frist: § 93 Abs. 1 S. 1 und S. 2 BVerfGG einen Monat ab Zustellung bzw. Bekanntgabe der letztinstanzlichen Entscheidung. (Mangels anderer Angaben im SV hier ( + ) )

Zwischenergebnis: Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.

B. Begründetheit 

Die Verfassungsbeschwerde ist begründet, wenn und soweit die angegriffenen Maßnahmen die G in ihren Rechten verletzt haben.

I. Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG  (Religionsfreiheit)

a) Schutzbereich eröffnet. Hier ( + ) da die Religionsfreiheit ein einheitliches Grundrecht darstellt, sie schützt sowohl den Glauben als auch das religiöse Bekenntnis und das Recht auf ungestörte Religionsausübung. Das Kirchenasyl ist religiös motiviert (Christliche Beistandspflicht) und daher Teil der aktiven Religionsausübung.

b) Eingriff ( + ) durch Festnahme des Z wurde das Kirchenasyl beendet

c) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung

aa) Schranken. Könnten sich hier aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 1 WRV ergeben. Streitig ist, ob dieses einen Gesetzesvorbehalt für die Religionsfreiheit ergibt. Nach h.M. ist das nicht der Fall. Damit gelten hier verfassunsgimmanente Schranken. Eingeschränkte Rechtsgüter könnten hier aber nur das Asylgewährungsmonopol des Staates sein, jedoch ( – ) da Kirchenasyl das gerade nicht antasten will. Aber die Funktionsfähigkeit der Rechtsordnung ist in Frage gestellt, da die Durchsetzbarkeit von in rechtsstaatlichen Verfahren entstandenen Entscheidungen hier in Frage gestellt wird.

bb) Schranken-Schranken. Dann müsste es ein Einschränkendes Gesetz geben, hier kommen nur Normen des Asyl- oder Ausländerrechts in Frage. Deren formelle und materielle Verfassungsmäßigkeit wird unterstellt (mangels anderer Angaben im SV). Dann müsste jedoch die Beendigung des Kirchenasyls Verhältnismäßig gewesen sein. Verhältnismäßig ist es dann, wenn die Maßnahme zur Wahrung der Funktionsfähigkeit der Rechtsordnung geeignet, erforderlich und angemessen war. Geeignet war die Maßnahme, erforderlich war sie auch, da kein anderes, milderes Mittel zur Verfügung stand. Angemessen war sie jedoch nicht, da die neuen Informationen (Dokumente des Z die der H vorgelegte hatte) nicht berücksichtigt wurden und ein Aufschub der Abschiebung zumindest hätte gewährt werden müssen bis die Behörde die Dokumente gesehen und ggf. geprüft hätte. Der Sofortige Rückgriff auf Zwangsmittel war demnach unverhältnismäßig.

d) Zwischenergebnis: Die G ist in ihrem Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG verletzt.

II. Art. 13 Abs. 1 GG (Unverletzlichkeit der Wohnung)

a) Schutzbereich: Nach dem BVerfG gilt ein weiter Wohnungsbegriff, auch Kirchenräume fallen hierunter, daran ändert auch die allgemeine Zugänglichkeit der Kirchenräume nichts,  daher ( + )

b) Eingriff ( + ) durch das Betreten der Kirchenräume um den Z suchen, dabei handelt es sich de facto um eine Durchsuchung i.S.d. Art. 13 Abs. 2 GG

c) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung

aa) Schranken, Art. 13 Abs. 2 GG stellt einen qualifizierten Gesetzesvorbehalt dar und stellt damit konkrete Anforderungen für die Rechtmäßigkeit einer Durchsuchung auf.

bb) Schranken – Schranken. Auch hier müsste es ein Einschränkendes Gesetz geben, hier kommen nur Normen des Asyl- oder Ausländerrechts in Frage. Deren formelle und materielle Verfassungsmäßigkeit wird unterstellt (mangels anderer Angaben im SV).

Innerhalb der formellen Verfassungsmäßigkeit ist zu sagen, dass das Eindringen in die Kirchenräume nicht die Voraussetzungen des Art. 13 Abs. 2 GG erfüllt, da kein richterlicher Durchsuchungsbeschluss vorlag und zudem auch keine Gefahr in Verzug vorlag. Innerhalb der materiellen Verfassungsmäßigkeit ist das Verhältnismäßigkeitsprinzip genauso auszuführen wie auch bei Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG.

d) Zwischenergebnis: Die G ist auch in ihrem Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG verletzt.

Ergebnis: Die Verfassungsbeschwerde der G ist zulässig und begründet, das polizeiliche Vorgehen verletzt sie in ihren Rechten aus Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG und aus Art. 13 Abs. 1 GG.

Literaturhinweise: 

  • Studienkommentar GG, Gröpl/Windthorst/von Coelln – Art. 19 GG, Art. 93 GG, Art. 4 GG, Art. 13 GG.
  • Grundrechte Staatsrecht II, Pieroth/Schlink, Rn. 503 – 544; Rn. 871 – 891; Rn. 1116 – 1175.
  • Kirchenasyl, Grote/Kraus, JuS 1997, 345-351.
  • BVerwGE 112,227.
  • BVerfGE 33,23 (siehe DFR)
  • BVerfGE 102, 70 (siehe DFR)

 

 

 


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