In Teil 1 ging es um die Zulässigkeit der Verfahren vor dem BVerfG.Aufbauend auf diesem Grobschema wird hier die Zulässigkeit geprüft.
In Teil 2 ging es um das Schema der Abstrakten Normenkontrolle. Teil 3 hat das Schema der Konkreten Normenkontrolle zum Inhalt.
Dieses Mal geht es um das Organstreitverfahren.
Das Organstreitverfahren ist eine Kompetenzstreitigkeit. Denn hier streiten Verfassungsorgane um ihre wechselseitigen Pflichten.
Der Normenblock lautet: Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, § 13 Nr. 5 BVerfGG, §§ 63 ff. BVerfGG
A. Zulässigkeit
I. Parteifähigkeit, § 63 BVerfG, Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG
Innerhalb dieses Prüfungspunktes wird die Parteifähigkeit des Antragsgegners und des Antragstellers geprüft (wir erinnern uns: Der Organstreit ist ein kontradiktorisches Verfahren).
Hierbei tritt ein kleines Problem auf: Die Normen des § 63 BVerfGG und des Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG sind nicht deckungsgleich. Lösen kann man das Ganze so: § 63 BVerfGG zählt die parteifähigen Organe enumerativ auf , während Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG auf die obersten Bundesorgane und „andere Beteiligte“ abstellt. Im Rahmen einer Verfassungskonformen Auslegung ist die Erweiterung der Parteifähigkeit auf Organteile im Rahmen des § 63 BVerfGG eine zulässige Auslegung. Damit kommt Art. 93 Abs. 1 Nr.1 GG der Geltungsvorrang zu und § 63 BVerfGG der Anwendungsvorrang. Damit kann jedes oberste Bundesorgan und die „anderen Beteiligten“ ihre Parteifähigkeit direkt aus dem Grundgesetz herleiten.
Die Parteifähigkeit lässt sich einfach merken:
Gem. § 63 BVerfGG sind der Bundespräsident, der Bundestag, der Bundesrat und die Bundesregierung (auch Ihre einzelnen Bestandteile, wer die sind steht in Art. 62 GG) parteifähig. Ebenso deren Organe die durch das GG oder durch die GO des Bundestages oder des Bundesrates mit eigenen Rechten ausgestattet sind. Damit steht die Hälfte schonmal im Gesetz und muss nicht auswendig gelernt werden.
Gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG sind die obersten Bundesorgane (genau! Das sind die, die in § 63 BVerfGG schon aufgeführt sind!) parteifähig, dazu gehören nach hM auch die Bundesversammlung und der Gemeinsame Ausschuss. Merken müsst ihr euch nur noch dieses: Unter „andere Beteiligte“ fallen:
- Abgeordnete – aber nur, wenn sie eine Verletzung ihrer Abgeordnetenrechte geltend machen! Machen sie Grundrechtsverletzungen geltend ist der Organstreit unzulässig, eine VfB hingegen zulässig!
- Fraktionen – denn sie sind laut §§ 60 ff. GO BTag mit eigenen Rechten ausgestattet und zudem haben sie aus Art. 53a Abs. 1 S.2 GG eigene Rechte.
- Politische Parteien – aber nur, wenn sie mit einem anderen Verfassungsorgan um Rechte kämpfen. Geht es um Grundrechte gilt dasselbe wie für Abgeordnete.
Das lässt sich mit einem kleinen Kniff gut merken: Haltet euch das Ganze Hierarchisch vor Augen:
Zuerst kommen die Politischen Parteien, die ziehen dann in den Bundestag ein und bilden den Bundestag. Der Bundestag besteht aus Fraktionen. Die Fraktionen bestehen aus Abgeordneten.Der Gemeinsame Ausschuss besteht aus Abgeordneten des Bundestages und des Bundesrates. Der Bundespräsident wird von der Bundesversammlung gewählt.
II. Tauglicher Prüfungsgegenstand
Das kann jede rechtserhebliche Maßnahme oder jede Unterlassung des Antragsgegners sein.
Beispiele damit es anschaulich wird: Besetzung der Ausschüsse durch den Bundestag, Erlass eines Gesetzes u.s.w.
III. Antragsbefugnis, § 64 Abs. 1 BVerfGG
Hier muss der Antragsteller geltend machen, dass die Möglichkeit einer Verletzung oder unmittelbaren Gefährdung von Rechten oder Pflichten besteht. Diese Rechte oder Pflichten müssen dem Antragsteller selbst durch das GG übertragen worden sein oder dem Organ dem der Antragsteller angehört.
Erforderlich ist die Verletzung oder Gefährdung von durch das GG (und NUR durch dieses!) eingeräumten Rechten oder Pflichten.
IV. Frist, § 64 Abs. 3 BVerfGG
Die Frist läuft sechs Monate ab dem Zeitpunkt an dem dem Antragsteller die Maßnahme oder Unterlassung bekannt wurde.
V. Ordnungsgemäßer Antrag
Hier gilt wie immer: § 23 Abs. 1 BVerfGG (schriftlich und mit Begründung) und § 64 Abs. 2 BVerfGG (Bezeichnung der verletzten Bestimmung)
B. Begründetheit
Der Antrag ist begründet, wenn die gerügte Maßnahme oder Unterlassung gegen eine Bestimmung des GG verstösst und dadurch verfassungsrechtlich abgesicherte Rechte oder Kompetenzen des Antragstellers verletzt.
Was genau in der Begründetheit zu prüfen ist, hängt vom konkreten Sachverhalt ab. Ratsam ist aber zumindest ein Grobschema im Kopf zu haben und entsprechend zu prüfen. Das lässt sich einfach merken:
Welche Rechtsposition des Antragstellers ist wodurch betroffen? Gibt es für die gerügte Maßnahme oder Unterlassung eine Rechtfertigung?
C. Tenor
Das BVerfG stellt fest, dass die gerügte Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners gegen eine Bestimmung des GG verstösst, § 67 S. 1 BVerfGG.
Wichtig: Das BVerfG stellt lediglich fest ob die Maßnahme oder Unterlassung gegen geltendes GG verstösst, es erklärt nichts für verfassungsfeindlich o.ä.!
Und das Ganze nochmal in Kurzform:
A. Zulässigkeit
I. Parteifähigkeit, § 63 BVerfGG iVm Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG
II. Tauglicher Prüfungsgegenstand
III. Antragsbefugnis, § 64 Abs. 1 BVerfGG
IV. Frist, § 64 Abs. 2 BVerfGG
V. Ordnungsgemäßer Antrag, §§ 23 Abs. 1,64 Abs. 2 BVerfGG
B. Begründetheit
I. Rechte des Antragstellers
II. Maßnahme oder Unterlassung
III. Rechtfertigung
C. Tenor
Literatur zur Vertiefung / Wiederholung:
Lehrbücher / Skripte / Aufsätze:
- Gröpl/Windthorst/von Coelln, Studienkommentar GG, Art. 93 GG, Rn. 13 – 25.
- Peucker, Staatsorganisationsrecht, Rn. 76 – 81.
- Fleury, Verfassungsprozessrecht, S. 11 – 17.
- Hillgruber/ Goos, Verfassungsprozessrecht, Rn. 61, Rn. 303 – 398.
Fälle:
- Stöbener/Wendel, ZJS 1/2010,73 – Link
- Hong/Schiff, ZJS 5/2013, 475 – Link
- Degenhart, Klausurenkurs im Staatsrecht II, Fall 2 – Bad bank – bad law (Rn. 214); Fall 6 – Koalitionsgeplänkel und Wahlrechtsarithmetik (Rn. 411); Fall 7 – Im Dickicht der Subventionen (Rn. 469); Fall 8 – Geiler Geiz? (Rn. 531).