Eine Abweichung des vorgestellten vom tatsächlichen Kausalverlauf ist zwar grundsätzlich unbeachtlich, wenn die Abweichung sich innerhalb der Grenzen des nach allgemeiner Lebenserfahrung voraussehbaren hält und keine andere Bewertung der Tat rechtfertigt.
Beachtlich ist eine Abweichung allerdings, wenn sie außerhalb des Ädaquaten – also außerhalb des nach allgemeiner Lebenserfahrung vorhersehbaren liegt oder eine andere Bewertung der Tat erfordert.
Die Diskussion um die Frage nach „einer anderen Bewertung“ wird an mehreren klassischen Konstellationen festgemacht:
– Der Erfolg tritt früher ein als vom Täter vorhergesehen
– Der Erfolg tritt später ein als vom Täter vorhergesehen
– Der Erfolg tritt bei einem anderen Objekt ein als vom Täter vorhergesehen
Der Erfolg tritt früher ein als vom Täter vorhergesehen
Nach h.M. ist der Kausalverlauf nicht beachtlich, wenn der Täter bereits die Versuchsphase erreicht hat.
Beispiel: T will den O vergiften. Nach Vorstellung des T muss er dem O dafür 2 Tassen mit vergiftetem Tee geben. Nach der ersten Tasse geht T in die Küche um die zweite Tasse für O zu holen, dieser ist aber bereits tot.
Die Abweichung ist unbeachtlich, da ein vollendetes Delikt vorliegt.
Nach h.M. ist die Abweichung dagegen beachtlich, wenn dem Täter der Kausalverlauf in der Vorbereitungsphase entgleitet. Beispiel: T will den O dieses Mal erschiessen. Zum Üben fährt er in den Wald und schiesst auf Bäume. O kommt des Weges und wird von einer der Kugeln getötet.
Dem T ist der Kausalverlauf insofern entglitten, als dass er nicht den O töten wollte, sondern leidglich schonmal zielgerichtet schiessen üben wollte.
Anderes Beispiel: T versucht es nun anders: er betäubt den O und steckt ihn in den Kofferraum seines Wagens um den O nach einer einstündigen Autofahrt im Wald zu töten. Der O aber erstickt auf der Fahrt. Der Tötungsversuch des T hätte aber in diesem Fall erst mit Ankunft am Tatort begonnen.
Der Erfolg tritt später ein als vom Täter vorhergesehen
Im diesem Bereich ist der Jauchegrubenfall der Klassiker. Kurz gefasst:
T will den O erschlagen. Er schlägt ihn mit einem Knüppel nieder und hält ihn für tot. Tatsächlich aber lebt der O noch. Der T wirft die vermeintliche Leiche – wie vorher geplant- in eine Jauchegrube. Der O ertrinkt in der Jauchegrube. (BGHSt 14,193)
Inwiefern in diesem Fall eine Abweichung vorliegt ist umstritten:
Nach der Lehre vom dolus generalis kommt es darauf an, ob der Täter die spätere (todbringende) Handlung des Verbergens schon zu dem Zeitpunkt hatte, als er den ersten Teilakt vornahm. Ist dieses der Fall läge eine vollendete Tötung vor.
Hätte der Täter den Entschluss die Leiche zu verbergen erst nach Ausführung der vermeintlichen Tötungshandlung gefasst, fehlt es an der Zurechenbarkeit. Dann läge Versuch in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung vor. Im obigen Fall läge eine vollendete Tötung vor.
Nach der Literatur kommt nur ein Versuch in Frage. Der T habe seinen Plan zu töten, gerade nicht realisiert sondern sei im Versuchsstadium stecken geblieben. Beim Reinwerfen der vermeintlichen Leiche in die Jauchegrube fehlte dem T die Tatumstandskenntnis, da er davon ausging, eine Leiche vor sich zu haben. Daher kann nur eine Bestrafbarkeit wegen Versuchs in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung in Betracht kommen.
Nach Rechtsprechung und h.M. ist dieser Fall eine spezielle Erscheinung der Abweicheung des Kausalverlaufs. Entscheidend wäre, ob in diesem Fall eine wesentliche oder unwesentliche Abweichung vorliege. Hier sei sie unwesentlich, denn die erste Handlung habe durchaus den Tod verursacht, denn ohne sie wäre es zur Zweiten (tödlichen) Handlung garnicht gekommen.
Der Erfolg tritt bei einem anderen Objekt ein als vom Täter vorhergesehen
Error in persona vel objecto
Hierbei handelt es sich um einen Irrtum über das Handlungsobjekt. Der Täter will ein bestimmtes Objekt treffen, was auch passiert, nur muss er feststellen, dass es sich nicht um die Sache oder Person handelt die er eigentlich erwischen wollte. Der Irrtum unterläuft also bei der Wahl des Tatobjektes. Die Objektsverwechslung ist unbeachtlich, wenn das getroffene Objekt rechtlich gleichwertig ist. Beispiel:
T will O wiedermal erschiessen. Im dämmrigen Licht hält der T den C für O und drückt ab.
Es liegt ein error in persona vor. Denn: Ein für den Vorsatz des Täters unbeachtlicher error in persona liegt dann vor, wenn das anvisierte und das tatsächlich verletzte Objekt zwar personengleich sind, der Täter sich aber über die Identität des Objekts oder der Person geirrt hat. Es handelt sich hierbei auch um keinen Fall des §16 Abs. 1 S.1 StGB, denn im gesetzlichen Tatbestand des §212 Abs. 1 StGB ist nur von „einem Menschen“ die Rede. Erforderlich für den Versuch ist nur, dass der Täter eine Person konkret als Angriffsobjekt individualisiert und anvisiert hat.
Eine andere Konstellation ist das Legen einer Autobombe (andere Bomben natürlich auch, aber hier als Beispiel die Autobombe) und damit das fehlende anvisieren des Opfers. Fraglich ist, ob der error in persona auch dann unbeachtlich ist, wenn der Täter das Opfer nicht unmittelbar vor Augen hat. Nach h.M. liegt auch hier ein unbeachtlicher error in persona vor. Denn der Tötungsvorsatz beziehe sich auf jedes Objekt was in die vom Täter gefertigte Situation eintrete. Das es sich nicht um die vom Täter gewünschte Person handelt, spiele keine Rolle, denn der Täter hat dieses Risiko geschaffen und daher auch die Konsequenzen zu tragen.
Beachtlich ist der Irrtum dann, wenn getroffenes und erwartetes Handlungsobjekt rechtlich nicht gleichwertig sind. Beispiel:
T will den Hund des O erschiessen, weil der immer in seinem Vorgarten sein Geschäft verrichtet. In der Dunkelheit hält er den O, der gerade auf dem Boden seine Schlüssel sucht, für dessen Hund und tötet ihn. Hier liegt eine versuchte Sachbeschädigung in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung vor.
Noch ein Beispiel: T will den Zootierpfleer O töten. Im dunkeln meint T irrtümlich den O im Visier zu haben. Tatsächlich aber zielt und schiesst er auf einen Braunbären.
Hier bleibt T straflos. Denn: der error in persona hat hier Auswirkungen auf den Vorsatz. Da T ein Merkmal des objektiven Tatbestandes nicht kennt, nämlich dass es sich um eine Sache handelt, handelt er gem. § 16 Abs. 1 S.1 StGB ohne Vorsatz. Wegen des Planes den O zu töten, kann man zwar den Tatentschluss bejahen, jedoch ist das unmittelbare Ansetzen des T zu verneinen. Denn hinsichtlich des O fehlen zur Tötung noch wesentliche Zwischenschritte. Ein anderer liegt dann vor, wenn der Täter einem so genannten Dolus Eventualis aufweist. Beispiel:
T ist sich nicht sicher ob er auf den O oder dessen Hund zielt, auf jeden Fall aber will er entweder den O oder dessen Hund erschiessen. Tatsächlich trifft er den Hund. Hierbei ist die Lösung jedoch umstritten:
Nach h.M. bleibt der Tatbestandsvorsatz unberührt, wenn der Täter die Verwirklichung mehrerer Tatbestände nur alternativ für möglich hält. Dann wäre T wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit Sachbeschädigung zu bestrafen.
Nach m.m. ist nur der Tatbestandsvorsatz des schwereren Delikts maßgebend. Andere wollen nur wegen des vollendeten Delikts bestrafen, kommt es nicht zum Erfolg sei nur der Tatbestandsvorsatz des schwereren Delikts anzunehmen.
Aberratio Ictus
Die aberratio ictus ist vom error in persona abzugrenzen. Bei der aberratio ictus trifft der Täter nicht das Opfer, sondern einen anderen. Dieses aber nicht aufgrund eines Identitätsirrtums bzw. Verwechslung des Tatobjektes, sondern weil der Täter daneben trifft. Der Angriff geht also fehl und trifft ein Objekt das der Täter nicht anvisiert hatte. Zu unterscheiden sind innerhalb dieser Konstellation zwei Fälle:
1. Anvisiertes und getroffenes Objekt sind nicht gleichwertig.
Hierbei liegt eine beachtliche Abweichung vor.Beispiel:
T will den O wieder mal erschiessen. Er trifft aber den neben O stehenden Hund.
Mangels Vorsatzes bzgl. des Hundes liegt keine Sachbeschädigung vor. Zudem ist die fahrlässige Sachbeschädigung straflos.
Läge der Fall umgekehrt – auf den Hund wird geschossen, getroffen wird der O – läge versuchte Sachbeschädigung in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung vor.
2. Anvisiertes und getroffenes Objekt sind rechtlich gleichwertig.
Beispiel: T will den O erschiessen (diesmal aber richtig), trifft aber wieder mal nicht den O sondern den X.
Hier läge versuchte Tötung des O in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung des X vor. Es stellt sich jedoch die Frage ob hier nicht eine Vollendungsstrafbarkeit in Frage kommen kann.
Innerhalb der Prüfung des subjektiven Tatbestandes ist dann zu klären, wie sich der abgewichene Kausalverlauf auf die Strafbarkeit des T auswirkt. Denn er hat ein anderes Objekt getroffen als er anvisiert hatte.
m.M. (vertreten in der Lit.) -> bei Gleichwertigkeit der Objekte, auch im Rahmen des aberratio ictus, Strafbarkeit wegen vollendeten Delikts. Nach dieser Meinung wäre der T des vollendeten Totschlags schuldig.
m.M. (ebenfalls Lit. aber a.A.) -> Abweichung ist unerheblich, wenn sie vorhersehbar war. War der Kausalverlauf inadäquat liegt nur Versuch vor. Nach dieser Meinung wäre das Danebenschiessen für den T vorhersehbar gewesen, demnach: Vollendete Tötung.
h.M. -> Aberratio ictus ist eine erheblich Abweichung. Es liegt Versuch bzgl. des anvisierten Objektes und ggf. Fahrlässigkeit bzgl. des getroffenen Objektes vor. Nach h.M. wäre der T strafbar wegen Versuchs an O und fahrlässiger Tötung an X.
Literatur:
- Kaspar, Strafrecht - Allgemeiner Teil: Einführung*
- Zieschang, Strafrecht: Allgemeiner Teil (Studienprogramm Recht)*
- Schweinberger, Irrtumslehre: Wissen - Fälle - Klausurhinweise (Skript - Grundfall - Klausurfall / Für die Klausur im Kontext lernen)*
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